„Schuster bleib bei Deinen Leisten!“ Ein Lobgesang auf das Handwerk, auf Nachhaltigkeit und Lebensqualität

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Die Zeit ist reif für einen Lobgesang auf meinen Schuster und damit auch auf vom Aussterben bedrohte Handwerksberufe.

Folgende Geschichte ist der Anlass: In der letzten Woche brachte ich ein Paar Schuhe zu meinem Schuster. Seit über zwanzig Jahren bin ich eine äußerst zufriedene Kundin in dieser kleinen Schuhmacherwerkstatt. Ein langjährig erfahrener Schuhmachermeister betreibt sie gemeinsam mit seiner Frau. In die Jahre gekommene Lieblingsschuhe, von denen ich mich nur ungern trennen möchte, werden geflickt, mit neuen Absätzen bestückt oder komplett mit neuem Innenfutter versehen. Alles geschieht mit freudigem Einsatz und großem handwerklichen Geschick.

Wenn ich im Laden bin, um Schuhe zu bringen oder abzuholen, gibt es häufig noch Gelegenheit zu einem anregenden Gespräch. So war es auch dieses Mal. Ich erfuhr von einem jungen Mann, seines Zeichens BWL-Student, der vor kurzem mit einem Computerausdruck in das Schuhmachergeschäft kam. Auf dem Ausdruck war ein von ihm designtes Schuhmodell abgebildet. Der Student hatte die Idee, dieses Paar Schuhe am nächsten Tag selber herzustellen. Bevor er sich an die Arbeit machen würde, wollte er von dem Wissens- und Erfahrungsschatz meines Schuhmachers profitieren und sich noch ein paar finale Ratschläge abholen. Hilfsbereit und klug, wie mein Schuhmacher nun einmal ist, holte er das wunderbare Buch von László Vass „Herrenschuhe handgearbeitet“  zur Veranschaulichung seiner Ausführungen unter der Ladentheke hervor. Und es dauerte nicht lange, bis dem jungen Mann klar wurde, was alles dazu gehört, um ein Paar solide Schuhe herzustellen. Noch im Geschäft verwarf er seinen Plan, zerriss seinen Entwurf und verabschiedete sich von seinem Vorhaben.

Auch wenn auf diese Weise sein Plan scheiterte, so konnte der Student in dieser Situation profitieren. Er nahm die Erkenntnis mit, wie anspruchsvoll und vielseitig ein Handwerksberuf sein kann und welchen Wert die hergestellten Produkte haben können.

Die Geschichte zeigt: Das Wissen um den Wert des Handwerks geht in unserer globalisierten Welt, in der nicht nur Schuhe, sondern Güter aller Art in Massen, vornehmlich in Asien produziert werden, mehr und mehr verloren. „Die Chinesen produzieren mehr als 60% aller Schuhe dieser Welt. Das sind unfassbare 12,5, Milliarden Paar. Zusammen mit Indien und Vietnam kommen aus diesen Ländern mehr als 75%. Diese … Konzentration hat unter anderem zur Folge, dass es in allen anderen Ländern … verhältnismäßig schwierig geworden ist, das Schuhmacher-Handwerk zu erlernen.“ (Das Zitat stammt von Heini Staudinger aus dem GEA-Album Nr. 64, Herbst 2012.) Wie ich erfahren habe, gibt es in diesem Jahr in München nur zwei neue Auszubildende im Schuhmacherhandwerk.

Ich bedauere das zutiefst, und wünsche mir, dass dieses und andere vom Aussterben bedrohte Handwerksberufe Überlebenschancen haben und wieder mehr junge Menschen diesen oder andere traditionelle Handwerksberufe erlernen. Möglicherweise auch deshalb, weil ich als kleines Mädchen häufig in der Werkstatt meines Großvaters gewesen bin. Er war gestandener Sattler- und Polstermeister – auch ein Handwerk, das nicht erst seitdem ein Schwedisches Möbelhaus den Markt erobert hat, mehr und mehr verschwindet.

Mein Wunsch mag als romantische Träumerei oder purer Konservativismus gewertet werden. Allerdings träume ich diesen Traum nicht allein. Aus meiner Coaching-Praxis und auch als Mutter einer achtzehnjährigen Tochter weiß ich, dass es nicht wenige junge Leute gibt, die sich einen Beruf wünschen, in dem sie handwerkliche Tätigkeiten ausüben können, durch die qualitativ hochwertige und damit ressourcenschonende Produkte hergestellt werden. Sie suchen in der Arbeit genau das, was der Hirnforscher Gerald Hüther in der letzten Ausgabe von „Berufsziel“  (Verlagsbeilage in der Süddeutschen Zeitung) zu den „drei Prämissen für ein gesundes Leben“ zählt: „Verstehbarkeit, Gestaltbarkeit (und) Sinnhaftigkeit“.

Damit einhergehend nehme ich ein allgemein zunehmendes Verlangen nach ehrlichen Produkten und solider handwerklicher Arbeit wahr. Viele Menschen sind den Konsum billigster Wegwerfware leid. Hier könnte sich ein wachsender Markt für hochwertige Handwerksprodukte ergeben. Geschäfte wie „Manufactum“ & Co haben sich bereits mit dem Angebot solcher Produkte etabliert. Stimmt diese Wahrnehmung, könnte das die zukünftige Beschäftigung junger Handwerker sichern.

Wie gut ist es auch, dass es jetzt schon gibt Menschen gibt, die mit viel Herzblut und Engagement auf das (Schuhmacher)-Handwerk setzen. Einer davon ist der, bereits oben zitierte, Österreicher Heini Staudinger. Er hat in der strukturschwachen Region „Waldviertel“, vor 30 Jahren eine Schuhmanufaktur vor dem Konkurs gerettet. Anfangs beschäftigte er zwölf Mitarbeiter. Heute sind es 120 Mitarbeiter, sechs davon erlernen dort gegenwärtig den Schuhmacherberuf. Dass er einen eigenständigen Weg, jenseits globaler Produktions- und Vertriebsstrategien geht, um wirtschaftliche Erfolge zu erzielen, versteht sich dabei schon fast von selbst. So kommt er ohne Akkordarbeit aus, setzt er auf Direktvermarktung und zahlt sich selbst einen geringeren Verdienst als seinen Mitarbeitern.

Das Beispiel Heini Staudingers macht mir Mut, an meinen Traum zu glauben, dass in Zukunft wieder vermehrt Menschen in sinnstiftender handwerklicher Arbeit, Qualitätsprodukte herstellen und damit für neue Lebensqualität sorgen. Ich meine: mit berechtigtem Stolz können diese Menschen dann auf das Ergebnis ihrer Arbeit blicken.

 

 

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