„Jedes Kind ist eigentlich hochbegabt!“ – Später zählt Leistung, egal wie?

9.01.2014 Mechthild Bruns Gespeichert in Erfolg im Beruf, Schöne neue Berufswelt, Selbstsicherheit, Werte im Beruf Keine Kommentare »

„98% der Kinder kommen hochbegabt zur Welt. Nach der Schule sind es nur noch 2%.“ Dieses Zitat stammt aus dem Dokumentarfilm „Alphabet“, dem neuesten Film von Erwin Wagenhofer, der seit Oktober letzten Jahres in unseren Kinos läuft. Der Film hat eine einfache Botschaft: Begabung entfaltet sich durch „Liebe“. „Angst“ ist kontraproduktiv, insbesondere, wenn es um Lernen und Entwicklung geht. Im schlimmsten Fall ist sie tödlich. Häufige Suizide bei chinesischen Schülern legen ein Zeugnis davon ab. Der Film schickt uns auf eine Reise um die Welt, und zeigt uns, dass es beim schulischen Lernen heute vor allem um eines geht: um messbare Leistung und Wettbewerb. Dieser ungesunde Wettbewerb hat mit Beginn der Pisastudien  im Jahr 2000 noch groteskere Formen angenommen. Die Bildungslandschaft der OECD-Staaten wird seitdem regelmäßig alle drei Jahre evaluiert. Schülerleistung soll international vergleichbar und bewertbar sein. Der Film zeichnet ein düsteres Bild. So wird uns beispielsweise elfjähriger chinesischer Junge vorgestellt, ein Mathematiktalent, tägliche Lernzeit 15 Stunden. Während seine Großmutter voller Stolz seine bisherigen „Siegestrophäen“ vorzeigt, steht er unbeteiligt und mit müdem Blick daneben. Er zahlt wohl für seine Erfolge einen hohen Preis.

Die logische Konsequenz und die Botschaft des Films: was in der Schule anfängt, setzt sich im Beruf fort. Es geht vornehmlich um Leistung, um Konkurrenz, ums Bessersein als die anderen. Der Film gewährt uns Einblicke in einen Management-Talentwettbewerb in Kitzbühel. Dort erfahren wir aus dem Munde eines Protagonisten aus der Beraterbranche, wie man sich die Topmanager der Zukunft wünscht: Sie sollen „leistungsorientiert“ sein, „alles andere ist egal“.

Meine Meinung: genau das ist es nicht! Ich möchte an den Tod des Praktikanten erinnern, der im vergangenen Sommer in London an den Folgen von Überarbeitung gestorben ist. Der MacKinsey-Aussteiger Benedikt Herles, dessen Buch „Die kaputte Elite“, ebenfalls 2013 erschienen ist, gewährt uns Einblicke in die Welt der Unternehmen, die die Leistungsbereitschaft ihrer Mitarbeiter gnadenlos zum obersten Gebot erheben.

Auch in meiner Praxis als Berufscoach erlebe ich Menschen, die sich dem Leistungsprinzip mit Haut und Haaren verschrieben haben und dadurch in eine Krise geraten sind. Sie haben schmerzlich erlebt, dass etwas aus dem Lot geraten ist und wollen ihre persönliche und berufliche Balance wiederfinden.

Erfreulicherweise werden die Stimmen der Kritiker des gnadenlos um sich greifenden Leistungsprinzips in Schule und Beruf lauter. Im Film von Erwin Wagenhofer kommen einige von Ihnen zu Wort. Ihre Botschaften sind deutlich geworden.

Mindestens eine Frage bleibt offen: Wie können wir die Herkulesaufgabe stemmen und zu praktikablen Lösungen gelangen, die über den Einzelfall oder die Laborsituation hinausführen?

 

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Abi geschafft – was kommt danach? Zustandbeschreibung einer betroffenen Mutter

27.06.2012 Mechthild Bruns Gespeichert in Berufsfindung, Erfolg im Beruf, Richtig bewerben, Schöne neue Berufswelt, Urlaub und Muße 1 Kommentar »

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Am letzten Freitag wurden die Abitur-Ergebnisse bekanntgegeben. Geschafft! Eine meiner Töchter ist nun durchs vieldiskutierte G8 gekommen. Mutter einer Abiturientin zu sein, das fühlt sich richtig gut an! Für kurze Zeit, denn da war doch noch was?

Ja richtig, jetzt geht es um ihren weiteren Weg. Und der ist nun nicht mehr durch das „Übertrittszeugnis“, die Berechtigung für eine von drei Schultypen bestimmt (in meinen Augen auch ein Irrwitz – aber das ist hier und heute nicht mein Thema).

Jetzt geht es um das, was nach dem Abi kommt. Und da haben all diejenigen wohl schlechte Karten, die bis jetzt nicht wissen, wie es nach der Schule weitergeht. Und dazu gehört auch meine Tochter. Also geht es jetzt darum, sich blitzschnell zu entscheiden. Die Wahl aus einer Vielzahl an Möglichkeiten und der damit verbundene Marsch durch den Dschungel an Reglementierungen, ist zu bewältigen. Um nur einige zu nennen:

  • Will man Studieren, dann geht es um den Abi-Schnitt, die Einhaltung der Bewerbungsfrist am 15.Juli und in vielen Fällen um die Vorbereitung auf ein Eignungsfestellungsverfahren (was für ein Wort!). Als hätten die jungen Leute nicht schon bewiesen, dass sie nach all dem, was hinter ihnen liegt, etwas leisten wollen.
  • Möchte man in diesem Jahr noch ein freiwilliges soziales Jahr machen, hat man in den meisten Fällen wohl Pech gehabt. Die Bewerbungsfristen sind schon längst verstrichen. Da gibt es vielleicht noch einige Restplätze – das war´s.
  • Möchte man erst mal ein Praktikum machen und sieht sich in den Stellenbörsen um, ist man schier erschlagen von der Fülle der Angebote. Es entsteht sogar der Eindruck, dass der deutsche Arbeitsmarkt zurzeit zu 80% aus Praktikantenstellen besteht (vielleicht eine Übertreibung, aber nur eine leichte). Leider auch hier wieder Fehlanzeige, denn diese Stellen werden natürlich nur an Studenten mit einschlägigen Vorerfahrungen vergeben – hätte man sich ja auch denken können.

Aber, was mache ich da gerade? Ist das alles etwa mein Problem? Ich bin die Mutter und nicht die Abiturientin! Meine Tochter ist volljährig, kann selbst entscheiden. Warum mache ich mir einen Kopf?

Ja, ich habe mich tatsächlich dabei erwischt, dass ich sofort nach der letzten Prüfung den einen oder anderen klugen Rat nicht unterdrücken konnte. Natürlich habe ich auch selbst recherchiert, wie es nun weitergehen kann. Dabei wurden die Schüler schon seit über einem Jahr bestens versorgt. Ein Schwall von Angeboten und Bewerbungstipps ging auf sie nieder. Insbesondere tausende private Hochschulen, boten auf Hochglanzpapier ihre, oft sonderbaren, Studienmöglichkeiten an. Ist ja klar. Sie müssen ja schließlich gute Renditen einfahren.

Also aufgepasst, Mutter!!! Gute Ratschläge sind im Moment deplatziert. Ich muss sie schon aushalten können, die 100% Frage von allen, die wissen, dass ich die Mutter einer Abiturientin bin. Das muss meine Tochter ja schließlich auch. Welche Frage? Ist doch klar – oder?

Was ist denn nun meine Aufgabe? Was ist hier hilfreich und gut? Ich weiß es doch eigentlich und habe schon mehrmals darüber geschrieben. (Wer will, kann es unter der Kategorie „Urlaub und Muße“ in diesem Blog nachlesen.)

Jetzt geht es für meine Tochter erst einmal um Entspannung, um Erholung und natürlich auch ums Feiern. Dazu wird die ganze Familie auf dem Abiball am Wochenende wohl ausgiebig Gelegenheit haben.

Und danach nehme ich mir vor, auf kluge Ratschläge weitestgehend zu verzichten. Nur hier und da werde ich ein wohldosiertes Unterstützungsangebot machen. Ob mir das gelingen wird?

 

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Was ist uns die Arbeit wert?

9.05.2012 Mechthild Bruns Gespeichert in Schöne neue Berufswelt, Werschätzende Mitarbeiterentwicklung, Werte im Beruf Keine Kommentare »

© JiSIGN - Fotolia.com

Obwohl es schon in meinem letzten Beitrag um einen Film ging, will ich heute auf einen weiteren hervorragenden Film aufmerksam machen. Es handelt sich um die Aufzeichnung der Sendung „Macht (keine) Arbeit krank“, die in der WDR-Reihe „WestArt Talk“ , am 11. März ausgestrahlt wurde.

Der Grund, warum ich allen, empfehle, sich eineinhalb Stunden Zeit für diese Sendung zu nehmen: dem Moderator Holger Noltze ist es mit seinen fünf eindrucksvollen Gästen

  • Peter Falkei, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde
  • Petra van Laak, führte als Unternehmergattin ein sorgenfreies Leben. Doch nach dem Bankrott der Firma und Trennung von ihrem Mann erlebte die vierfache Mutter den rasanten Fall auf Hartz-IV-Niveau, heute ist sie selbständige Unternehmerin. Sie hat ihren Weg in dem Buch 1 Frau, 4 Kinder, 0 Euro (fast), festgehalten.

 

gelungen, die vielen Facetten des heutigen Arbeitslebens, ohne jede vordergründige Selbstdarstellungsabsicht, zu diskutieren. Wohltuend ist dabei auch, dass es sich hier einmal nicht um eine pro und contra Diskussion handelt, sondern um sich ergänzende Beiträge der Gäste, die uns die unterschiedlichsten Perspektiven des heutigen Arbeitslebens eindrucksvoll vor Augen führen.

Begeistert hat mich die Sendung vor allem wegen des zentralen Anliegens aller Gäste, die Würde und Wertschätzung der arbeitenden Menschen in den Mittelpunkt zu rücken, einem Anliegen, dem auch ich mich mit meinem Konzept einer wertschätzenden Mitarbeiterentwicklung“ verpflichtet habe.

 

 

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Wollen wir „nonterritoriale Arbeitsplätze“? Schöne neue Berufswelt IV

30.04.2012 Mechthild Bruns Gespeichert in Innovative Personalarbeit, Schöne neue Berufswelt, Werschätzende Mitarbeiterentwicklung, Werte im Beruf 2 Kommentare »

Wer es nicht schon längst selbst erfahren hat, der weiß es spätestens nach dem Besuch des  Dokumentarfilms Work Hard Play Hard, der aktuell in unseren Programmkinos zu sehen ist: die Schöne neue Welt ist in unseren Büros längst Realität.

Carmen Losmann ist es in ihrem Film-Debüt gelungen, uns die Irrungen und Wirrungen der heutigen Arbeitswelt plastisch vor Augen zu führen. Sie lässt eindrucksvolle Bilder sprechen und die Protagonisten selbst zu Wort kommen. Auch ohne Kommentar wird so schnell klar, worum es in der heutigen Arbeitswelt vor allem geht: um Optimierung, Verschlankung, Gewinnmaximierung.

Weil dies nur mit Personal möglich ist und hier noch einiges Potenzial vermutet wird, schenkt die Betriebswirtschaft dem Humankapital im ökonomischen Gefüge seit geraumer Zeit größte Aufmerksamkeit. Es werden alle Hebel in Bewegung gesetzt, um die passenden Rahmenbedingungen zu schaffen, damit sich Umsatzrenditen erhöhen.

Carmen Losmann zeigt uns in ihrem Film ein Potpourri von Szenen, die uns auf eindrucksvolle Weise Einblick geben, welche Wege zu diesem Zweck beschritten werden.

Hier ein paar Beispiele:

Die Köpfe eines renommierten Architekturbüros nutzen die These, dass sich Kreativität am besten in informellen Kommunikationsprozessen entfaltet als Fundament für ihren Entwurf eines repräsentativen Firmensitzes in der Hamburger Hafencity. Entstanden ist ein offenes Gebäude, mit der Intention, überall Kommunikation zu ermöglichen und erst gar keinen Eindruck von Arbeit entstehen zu lassen. In logischer Konsequenz wird den Geschäftspartnern bei ihrem dortigen Besuch auch „viel Spaß“ gewünscht. Dass sich dieser Spaß im wohldurchdachten Ambiente nicht automatisch einstellt, wird beim Blick in die Gesichter der Mitarbeiter deutlich, die sich am Morgen durch die Eingangsschleusen begeben.

Szenenwechsel: hier erklärt uns der Manager eines der führenden internationalen Beratungsunternehmen die Vorzüge des Bürokonzeptes, dass nur noch „nonterritoriale Arbeitsplätze“ vorsieht. In der Praxis bedeutet das: Menschen, die hier arbeiten, buchen tagtäglich ihren Arbeitsplatz mithilfe einer internetgestützten „Hoteling-Software“. Privates, selbst der eigene Kaffeebecher sind in diesem Rahmen nicht gewünscht.

Ging es bei den ersten beiden Beispielen um effektive Raumkonzepte, so machen die Optimierer sich auch am Menschen selbst zu schaffen. Wie etwa bei einer Potenzialanalyse , bei der das Entwicklungspotenzial von Mitarbeitern auf dem Prüfstand steht. Oder in einem der beliebten Outdoortrainings, welche darauf abzielen, gewünschtes Verhalten deutlich zu machen und dauerhaft bei den Teilnehmern zu verankern.

Noch eines will ich jetzt verraten: zu sehen ist auch eine Managerin, die als Change-Agent „den kulturellen Wandel in die DNA jedes einzelnen Mitarbeiters verpflanzen…“ will.

Spätestens durch diese Aussage wurde mir deutlich, dass Menschen in dieser Arbeitswelt allenfalls nur noch Statistenrollen zugestanden werden, die sie allerdings jederzeit zielgerichtet zur Umsatzsteigerung ins Spiel bringen sollen.

Trotz all dem besteht Hoffnung. Denn im Film blitzen schon vereinzelt die menschlichen Fähikeiten zur Verweigerungshaltung und zur Erkenntnis auf. Und da man bei all dem wohl die Rechnung ohne den Wirt gemacht hat, will ich glauben, dass man sich in den Führungsetagen bald seiner Irrwege bewusst wird. Wenn das geschieht, kann sich am Ende des Tages auch in Mitarbeiterkonzepten doch noch die Vernunft ihren Weg bahnen.

Wer jetzt selbst der schönen neuen Arbeitswelt unverblümt ins Gesicht sehen will, der sollte unbedingt  das nächste Programmkino besuchen, in dem Work Hard Play Hard gezeigt wird.

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Schöne neue Berufswelt III – Welcher Beruf passt zu mir?

21.11.2011 Mechthild Bruns Gespeichert in Berufsfindung, Erfolg im Beruf, Schöne neue Berufswelt, Selbstsicherheit 2 Kommentare »

© Marek - Fotolia.com

„Wie finde ich heraus, was ich werden soll?“ dieser Artikel im „Beruf und Karriere-Teil“ der Süddeutschen Zeitung vom letzten Wochenende (19./20.November 2011, Seite V2/10; leider nicht online verfügbar) kommt gerade recht, um meine Reihe über die „schöne neue Berufswelt“ fortzusetzen. In dieser Kategorie schreibe über Themen, über die ich mich so richtig aufregen kann.

Worum geht es dieses Mal? Eine sechzehnjährige Gymnasiastin ist verunsichert, weil sie zwar ganz sicher weiß, was sie nicht werden will, aber keinerlei Ideen hat, welcher Beruf zu ihr passen könnte. Auch diverse Berufstests konnten ihr bislang keine hilfreiche Orientierung geben.

Hier weiß die Expertin für Berufsfragen Uta Glaubitz Rat. Aber anstatt zunächst einmal eine Ermunterung auszusprechen und zu würdigen, dass sich die Schülerin so aktiv auf die Suche nach dem, für sie passenden Weg begeben hat, wird ihr zunächst einmal eine Illusion geraubt. Frau Glaubitz klärt sie auf, dass Tests einem die Entscheidung nicht abnehmen, da sie lediglich das Bedürfnis befriedigen würden, die Verantwortung für sich selbst abzugeben. Das sitzt! Insbesondere deshalb, weil die Testgläubigkeit hierzulande kaum zu überbieten ist. Spätestens seit Pisa wird jeder Schüler förmlich mit Tests bombardiert. Nicht nur die Bildungssituation der Republik versucht man auf diese Weise immer wieder zu monitoren – ebenfalls wird die individuelle Leistung jedes Schülers, Schuljahr für Schuljahr zusätzlich zu den üblichen Leistungskontrollen, durch Jahrgangsstufentests beurteilt, so dass schon der Eindruck entsteht, dass mehr geprüft als gelernt wird.

Auch die respektablen Fähigkeiten, die die Schülerin mitbringt, wie Kreativität, Organisationstalent, sprachliche Ausdrucksfähigkeit, Durchhaltevermögen und einiges mehr, werden lapidar als „Grundvoraussetzungen“ für interessante Berufe eingestuft. Da weiß sie also gleich, dass es schon etwas mehr sein muss, um den heutigen beruflichen Anforderungen gerecht zu werden.

Deutlich wird der jungen Frau klargemacht, welche Spielregeln heute beherrscht werden müssen, um sich als Einsteigerin im hart umkämpften Markt erfolgreich zu positionieren. Sie wird darauf hingewiesen, dass sie es sich nicht leisten kann „unorganisiert zu sein und komplizierte Zusammenhänge nicht zu begreifen“. Auch die Fähigkeit zur Kreativität in allen Lebenslagen muss mit dem richtigen Training erworben werden.

Als nächstes wird der Schülerin mitgeteilt, welches Engagement von ihr erwartet wird, damit Einstiegschancen in einen journalistischen Beruf bestehen. Frau Glaubitz schreibt dazu:

„Es gibt immer die Chancen, die man sich erarbeitet. Wenn Sie Politik oder Volkswirtschaft studieren, Uniradio machen und nebenbei für einen Fernsehsender jobben, dann erarbeiten Sie sich damit Chancen auf ein journalistisches Volontariat“.

Zum Schluss dann quasi eine Ermahnung, nach dem Schulabschluss bloß nicht dies und das auszuprobieren oder gar eine Reise zu unternehmen, die in keinem plausiblen Kontext zum zukünftigen Beruf steht. Erst muss man sich entscheiden, was aus einem werden soll.  Und danach lautet die Ansage: zielstrebig auf den Traumjob hinzuarbeiten.

Beim Lesen dieser Ratschläge könnte man meinen, hier hat jemand im Rahmen einer Glosse extra dick aufgetragen, um auf den Irrsinn der heutigen Situation beim Berufseinstieg aufmerksam zu machen – doch leider war alles ernst gemeint.

Welchen Nutzen kann die Schülerin nach der Lektüre dieser Empfehlungen für sich verbuchen?

Sicher weiß sie jetzt, dass sie sich weiter am Riemen reißen muss, dass ihr nichts geschenkt wird, dass sie sich ihre Chancen erarbeiten muss und vor allem, dass es jetzt dringend Zeit für die ultimative Entscheidung ist, wohin die berufliche Reise gehen soll.

Ist das hilfreich? Ich bin nicht davon überzeugt!

Da eine Schulkarriere in Deutschland zunehmend weniger Möglichkeiten bietet, die eigenen Neigungen herauszufinden und zu erproben, kann es gut sein, sich nach der Schule eine Orientierungsphase zu gönnen und durchaus dies und das auszuprobieren, um festzustellen, was einem liegt und was nicht.

Darüber hinaus, befinden sich Berufe heute einem permanenten Wandel, so dass es sowieso ratsam ist, die weitverbreitete Sichtweise über Bord zu werfen, dass man nach dem Schulabschluss eine definitive Entscheidung für ein Berufsziel treffen muss. Meine Botschaft: sich keinen Entscheidungsstress zu diesem Zeitpunkt zu machen. Viel wichtiger scheint es mir zu sein, überhaupt erst einmal Entscheidungsfähig zu werden. Dazu kann wiederum die erwähnte Erprobung verschiedener Arbeitsfelder dienen.

Von besonderer Bedeutung aber scheint mir die Frage zu sein, wie authentisch und souverän man in einer beruflichen Tätigkeit sein kann. Darum ist der gelungene Berufsfindungsprozess, so wie ich ihn verstehe, immer auch ein Selbstfindungsprozess. Hier ist es von Vorteil erst einmal zu entkrampfen und sich gegebenenfalls auch einige Schleifen zu erlauben, um seinen Platz im Berufsleben zu finden.

Damit rechtzeitig zu beginnen, lohnt sich wirklich, wenn man nicht wie Miriam Meckel, erst nach vierzig Jahren zu folgender Erkenntnis gelangen will: „Um zu begreifen, dass ich in manchem nur eine Rolle spiele, dass ich mein Leben nach den Vorgaben anderer ausrichte, nach der Gesellschaft, in der ich lebe – und dass mich das ziemlich unglücklich gemacht hat.“ Mit Miriam Meckel teile ich die Meinung, dass es doch nur um eines gehen kann: ich selbst zu sein. Sich dies zu ermöglichen, ist das alles entscheidende Kriterium für einen Beruf, der zu mir passt.

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Schöne neue Berufswelt II – Gründer brauchen zukünftig noch mehr Risikobereitschaft

5.10.2011 Mechthild Bruns Gespeichert in Erfolg im Beruf, Schöne neue Berufswelt, Werte im Beruf Keine Kommentare »

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Am 23.09., also am Tag meines letzten Blog-Eintrags „Schöne neue Berufswelt“, fiel eine Entscheidung, die mich herausfordert, ein zusätzliches Kapitel unter der gleichen Überschrift zu schreiben. Denn durch diese Entscheidung werden ebenfalls Eigeninitiative und Selbstverantwortung statt unterstützt, gebremst und ignoriert. Ich kann mich erneut des Eindrucks nicht erwehren, dass in unserem Staat wieder einmal etwas in die absolut falsche Richtung läuft. Denn an diesem 23.09. entschied der Bundestag mit den Stimmen der CDU und der FDP über einschneidende Kürzungen beim Gründungszuschuss. Das entsprechende Gesetz wird voraussichtlich ab dem 1. November in Kraft treten.

Für Gründungswillige das Wichtigste zuerst: Um noch von der bestehenden Regelung zu profitieren, sollten sie sich beeilen und so schnell wie möglich bei der Bundesagentur für Arbeit Ihren Antrag auf Gründungszuschuss stellen.

Worum geht es konkret:
„Bislang haben Arbeitslosengeld-I-Bezieher, die ein geprüftes Gründungskonzept vorweisen, Anspruch auf finanzielle Förderung durch die Arbeitsagentur in der ersten Phase der Selbständigkeit. Sie erhalten neun Monate lang monatlich eine Unterstützung in Höhe ihres Arbeitslosengeldanspruchs sowie 300 Euro als Sozialversicherungspauschale. Bewährt sich die Gründung, können die Gründer für weitere sechs Monate mit jeweils 300 Euro gefördert werden. Nach dem Gesetzentwurf von der Leyens … (Anmerkung M.Bruns: Dieses Gesetzt wurde jetzt am 23.09. verabschiedet.), sollen sowohl Förderdauer als auch Förderhöhe sinken. Außerdem soll es künftig im Ermessen der Arbeitsagentur stehen, ob der Zuschuss gewährt wird.“(Quelle: faz.net)

Die Arbeitsministerin will mit der Gesetzesänderung bereits im Jahr 2012 eine Milliarde Euro einsparen. (Quelle: Zeit Online)
Und das obwohl der Gesetzentwurf sogar in den eigenen Reihen kritisiert wurde: Aus dem Bundeswirtschaftministerium hieß es, der Plan sei als einseitige Maßnahme „wirtschafts-und arbeitsmarktpolitisch fragwürdig“. (Quelle: faz.net)

Die überzeugendsten Gegenargumente liefert eine Studie des IAB, die belegt, dass der Gründungszuschuss eines der wirkungsvollsten Instrumente der Arbeitsmarktpolitik ist. Sie zeigt auf, dass knapp fünf Jahre nach Gründung immer noch zwischen 55 und 70 Prozent der Geförderten selbständig tätig sind. Weitere 20 Prozent befinden sich wieder in einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung. (Quelle: Zeit Online) Die arbeitsmarktfördernde Wirkung wird nochmals verstärkt, wenn man bedenkt, dass Selbständige häufig wiederum Arbeitsplätze schaffen.

Soviel zu den Fakten. Was mich an der ganzen Sache besonders wütend macht, ist die Argumentation mit der die Gesetzesänderung seitens des  Arbeitsministeriums legitimiert werden soll. So hieß es, viele Arbeitslose gründeten aus der Not heraus ihr eigenes Unternehmen, um dann nur mit Mühe über die Runden zu kommen. Außerdem seien die Mitnahmeeffekte sehr hoch, denn viele hätten sich auch ohne staatliche Zuschüsse selbständig gemacht. (Quelle: Zeit Online) So kann man nur argumentieren, wenn man sehr, sehr weit von den Menschen entfernt ist, um die es geht.

Aus eigener Erfahrung als Existenzgründerin und Berufscoach kann ich sagen:

Menschen, die sich für die Selbständigkeit entscheiden

  • überwinden ihre Existenzängste,
  • nehmen ihre Sache selbstverantwortlich in die Hand,
  • beweisen Mut,
  • haben hervorragende Ideen
  • und sind in hohem Maße risikobereit.

Außerdem ist die Alternative eines sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses nicht in jedem Fall die erfüllende Art des Broterwerbs. Es gibt für viele Menschen gute Gründe sich für die Selbständigkeit zu entscheiden. Der Ratgeberautor Andreas Lutz bringt sie im Beruf und Karriere-Teil der Süddeutschen Zeitung vom 1./2./3. Oktober 2011 (leider nicht online verfügbar) so wunderbar auf den Punkt: „Wenn Menschen sich nicht mehr auf feste Jobs bewerben, haben sie dafür gute Gründe. Und die haben in der Regel nichts damit zu tun, dass sie keine andere Chance mehr auf dem Arbeitsmarkt hätten. Die meisten Gründer wollen ihre Arbeitsschwerpunkte selbst bestimmen, politischen Ränkespielen in Unternehmen aus dem Weg gehen, flexibler sein oder keinen mürrischen Chef mehr haben, der unter Umständen geringer qualifiziert ist als sie selbst.“

In Punkto Gesetzesänderung gibt es jetzt keinen Weg zurück. Das Gesetz ist verabschiedet. Damit sind die Bedingungen unternehmerischer Initiative massiv erschwert. Das individuelle Risiko ist nochmals größer geworden. Viele werden sich nun nicht mehr trauen selbständig zu werden, möglicherweise mit dem Ergebnis, noch für längere Zeit auf staatliche Unterstützung angewiesen zu sein.

Da es keine wirklich plausiblen Gründe für diese gesetzliche Neuerung zu geben scheint, drängt sich mir der Verdacht auf, dass auch an dieser Stelle der Hebel der gesellschaftlichen Umverteilung angesetzt wurde. Gerade eben hörte ich in der Tagesschau ein Interview zum Vergleich der Lebensbedingungen 1951 und 2011. Die Tagesschau führte es mit dem Professor für empirische Sozialforschung an der Universität Konstanz Werner Georg. Er sagte dort folgendes:

„Am meisten Sorgen machen mir das Wegschmelzen der Mittelschichten, die Zunahme von Armut unter dem Einfluss der Globalisierung, die prekären Arbeitsverhältnisse, die durch Zeitarbeit geprägt sind. Wir gehen davon aus, dass nur noch etwa 70 Prozent der Menschen ‚normal‘ beschäftigt sind, der Rest befindet sich in fragilen Arbeitsverhältnissen.“

Vor dem Hintergrund dieser Einschätzung wird die Brisanz der Regierungsentscheidung nochmals deutlicher. Wann werden wir in diesem Land endlich wach und verschaffen unserem Unmut Gehör?

„We are the 99%“!!!

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Schöne neue Berufswelt – persönlicher Erfolg ist nicht nur eine Frage von Eigeninitiative und Selbstverantwortung

23.09.2011 Mechthild Bruns Gespeichert in Erfolg im Beruf, Schöne neue Berufswelt, Selbstsicherheit, Werschätzende Mitarbeiterentwicklung, Werte im Beruf 1 Kommentar »

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Gerade weil mir als Berufscoach der Erfolg jedes einzelnen Kunden am Herzen liegt, muss es jetzt einmal gesagt werden!

Obwohl jeder von uns sowieso nur eine Chance hat, nämlich „Eigeninitiative“ und „Selbstverantwortung“ an den Tag zu legen – persönlicher Erfolg stellt sich damit heutzutage nicht automatisch ein. Mir kommt der nimmer endende Ruf nach diesen beiden Tugenden aus den Unternehmen inzwischen eher wie das Abschütteln eigener Verantwortung, wenn nicht gar als moralische Bankrotterklärung der Unternehmen und ihrer Personalabteilungen vor. Die vielbeschworene unternehmerische Verantwortung wird so mal einfach auf den Einzelnen abgewälzt. Das Szenario ist hinlänglich bekannt: Junge Leute, gut ausgebildet, flexibel und fähig, finden trotz bester Studienabschlüsse zunächst einmal häufig nur einen schlecht bezahlten Praktikumsplatz aber keine angemessene Stelle. Gelingt es nach monatelangen Bemühungen, einen Job zu erwischen, so ist der Arbeitsvertrag selbstverständlich zunächst befristet. Es geht noch dreister und ist bei manchen Firmen inzwischen durchaus üblich: die Kündigung kurz vor Ablauf der Probezeit und das obwohl hervorragend gearbeitet wurde. Und auch für langjährig Beschäftigte kommt das Aus im Job immer häufiger wie aus heiterem Himmel.

Es ist unübersehbar: unsere Berufswelt hat sich in den letzten Jahren deutlich gewandelt. Und das eindeutig nicht zum Vorteil der arbeitenden Menschen. Autoren wie Richard Sennett („Der flexible Mensch“) und Jürgen Habermas („Die neue Unübersichtlichkeit“) haben es längst festgestellt: Berufstätigkeit ist für den Einzelnen immer stärker von Unsicherheit und Unüberschaubarkeit geprägt. Existenzängste machen sich breit. Denn eine jahrelang gesicherte Festanstellung in einem Unternehmen wird immer weniger wahrscheinlich, Arbeitsbedingungen verschlechtern sich und auch von angemessener Entlohnung für unsere Arbeitsleistungen müssen wir uns immer mehr verabschieden. Diese um sich greifende Praxis der Unternehmen ist aus meiner Sicht letztendlich, weil zu kurz gedacht, nicht nur ökonomisch fraglich, sondern auch moralisch höchst zweifelhaft.

Aber bei all dem gibt es auch Positives zu berichten: so prognostizierte das Handelsblatt in einem bereits 2007 erschienenen Artikel „Die Renaissance des ehrbaren Kaufmanns“, eine Initiative, die sich insbesondere im mittelständischen Bereich entwickelt (so z.B. betrieben bei der IHK Nürnberg). An mancher Stelle beginnt man sich also wieder auf unternehmerische Tugenden zu besinnen, was bedeutet, beim Wirtschaften nicht nur den eigenen ökonomischen Erfolg im Auge zu haben, sondern das Wohl der Mitarbeiter, der Gemeinschaft und der Umwelt immer mit zu bedenken. Diese Initiative verdient auf jeden Fall Beachtung. Sie ist im gesellschaftlichen Ganzen aber leider nur ein Tropfen auf den heißen Stein, wenn nicht gar, nur das letzte Hochhalten der moralischen Flagge vor dem endgültigen Untergang.

Im großen Stil hat im Zuge globaler Verflechtungen längst die Ausrichtung an rein wirtschaftsliberalen Prinzipien Einzug gehalten. Es scheint, dass mit dem Verschwinden der Einzelunternehmer aus dem ökonomischen Gefüge, Moral immer mehr in den Hintergrund gedrängt wird. Obwohl in großen Konzernen Unternehmensleitbilder moralisches Handeln versichern, in der Realität gelten dort meist ganz andere Spielregeln. Deutlich wird dies beispielsweise daran, dass moralisch verantwortlich handelnde Führungskräfte nicht selten als Gutmenschen belächelt werden. Sie werden als Idealisten abgestempelt und damit an den Rand gedrängt. Die „pragmatischen“ Entscheider, die ausschließlich den ökonomischen Erfolg im Blick haben, sind eindeutig im Vorteil. Dass diese Rechnung wohl nur kurzfristig wirksam ist, kümmert keinen.

Die große Frage: was tun?

Klar ist: als einzelne haben wir gar keine andere Chance, als für uns selbst einzustehen. Deshalb empfinde ich meine Arbeit als Coach, die ja auf das Wohl des Einzelnen ausgerichtet ist, auch als unumstritten sinnstiftend und nützlich.

Nur reicht aus meiner Sicht die Sorge für den Einzelnen und für uns selbst immer weniger aus. Ich halte es für wichtig, den individuellen Notlagen ein öffentliches Gesicht zu geben. Erste Initiativen entstehen: Menschen schließen sich zusammen und setzen sich zur Wehr. Die „Bewegung 15. Mai“ in Spanien und die Sozialproteste in Israel sind hierfür ein Ausdruck.

Das stimmt mich hoffnungsvoll.

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