Struktur und Freiheit – im Beruf ist beides wichtig! Nur wie finden wir das passende Maß?

Jerónimos-Kloster in Lissabon

Jerónimos-Kloster in Lissabon © Mechthild Bruns

Im vergangenen Jahr machte ich eine Reise nach Lissabon. Von dort brachte ich das Foto vom Gewölbe der Kirche des Jerónimos-Klosters mit. Ich erinnere mich daran, dass ich bei meinem Besuch der Kirche von den Proportionen und der Struktur des Gewölbes fasziniert war. Die Begriffe „Struktur“ und „Freiheit“ fielen mir bei der Suche nach dem Grund meiner Begeisterung als erstes ein. Denn den beteiligten Baumeistern ist es im 16. Jahrhundert auf bewundernswerte Weise gelungen, mit fast zierlich wirkenden Pfeilern, eine Statik zu schaffen, die ein frei schwebendes Querschiffgewölbe ermöglicht. Umso bemerkenswerter: das Kloster ist trotz des Erdbebens von 1755 unversehrt geblieben.

„Struktur“ und „Freiheit“ – beide Komponenten sind auch im Beruf unverzichtbar und von zentraler Bedeutung. Darum kann das Gewölbe des Jerónimos-Klosters, in seiner besonderen Beschaffenheit, für die Gestaltung des beruflichen Alltags als Vorbild dienen. Denn die Strukturen im Unternehmen sollten im Idealfall so beschaffen sein, wie die Gewölbekonstruktion des Klosters: so schlank wie möglich und so tragfähig wie nötig. Strukturen im Sinne von Regeln sollten den arbeitenden Menschen ausreichend Orientierung und Sicherheit geben und dabei größtmögliche Freiheit bieten. Nur so können sich Kreativität und Leistungspotenziale im Sinne der Ziele voll entfalten. Faktoren, die die Interessen der Mitarbeiter und des Unternehmens gleichermaßen bedienen, weil sie gemeinsamen Erfolg ermöglichen. Der Blick auf die Realität zeigt häufig ein anderes Bild.

Da gibt es einerseits ein Zuviel an Regeln. Einige Beispiele:

  • da muss jede Aktivität dokumentiert werden, so dass es immer weniger Zeit für die eigentlich produktiven Aufgaben gibt.
  • da muss es für alles Kennzahlen geben, damit die Arbeitsleistung im Sinne der Wirtschaftlichkeit jederzeit gemessen und bewertet werden kann. Quantitatives wird so sichtbar, Qualitatives lässt sich so oftmals nicht erfassen.
  • da muss jeder Sachverhalt kommuniziert werden, mit dem Ergebnis, dass die Mitarbeiter in der Informationsflut zu ersticken drohen.

Hier fehlt es an Freiräumen, die gestaltbar sind. Persönliche (Entscheidungs-)Freiheit wird auf ein Minimum reduziert. Intrinsische Motivation und Sinnhaftigkeit gehen verloren. Innere Leere macht sich breit. Die Mitarbeiter können keine Energie mehr aus ihrem Tun gewinnen. Sie laugen aus. Die bekannten Folgen: Demotivation, Stress und im schlimmsten Fall „Burn-out“ oder Krankheit. Die Produktivitätseinbußen für das Unternehmen liegen auf der Hand.

Aber es gibt auch ein Zuwenig an Regeln. Hier zwei Aspekte:

  • Die sogenannte „Arbeitszeitsouveränität“, die allzu oft ein „Allzeit bereit“ auslöst.
  • Ungeklärte Verantwortlichkeiten, die dazu führen, dass wichtige Aufgaben nicht wahrgenommen oder von Einem zum Anderen geschoben werden.

Hier fehlt es den Mitarbeitern an Sicherheit. Sanktionen können sie jederzeit treffen. Auch das erzeugt Unsicherheit und Angst und hat im Übrigen die gleichen, schon oben beschriebenen Folgen.

Ich halte fest: Sowohl Überregelung als auch fehlende Regelungen sind in der betrieblichen Zusammenarbeit kontraproduktiv. Auf die Balance zwischen den Polen kommt es an. Da bleibt viel Klärungs- und Handlungsbedarf, wie diese Balance zwischen Struktur und Freiheit im Unternehmen herzustellen ist. Hierzu abschließend einige Fragen:

  • Wie viel Struktur ist nötig, damit sich die Arbeitskraft der Mitarbeiter frei entfalten kann, damit sie selbstverantwortlich, selbstbestimmt und mit Freude tätig werden können?
  • Welche Regeln sind sinnvoll, welche kontraproduktiv?
  • Wie sind die Prozesse zu gestalten, in denen Regeln zustande kommen?
  • Wie werden Regeln vereinbart? Mit welcher Verbindlichkeit werden sie gelebt?
  • Bei welchen Aufgaben bedarf es mehr Regelungen (z.B. Buchhaltung)? An welchen Stellen braucht es mehr Freiheit (z.B. kreative und konzeptionelle Aufgaben)?
  • Welche Mitarbeiterpersönlichkeiten brauchen welche Regeln?
  • Wann muss Führung lenken und Orientierung bieten, wann Freiräume ermöglichen?

 

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