„Morgen ist auch noch ein Tag.“ Über das Laster des Aufschiebens

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„Morgen ist auch noch ein Tag.“ Dieses tröstliche Mantra sprechen sich viele von uns tagtäglich zu und verschieben anstehende Aufgaben und Projekte auf den nächsten Tag, die nächste Woche oder auf unabsehbare Zeit.

Aber auch mit gegenteiligen Sprüchen wie „Was Du heute kannst besorgen …“ ist die deutsche Sprache reich gesegnet. Sie sind uns gut bekannt und haben die Funktion, uns auf das Bedrohungspotenzial, das im aufschiebenden Verhalten liegt, aufmerksam zu machen. Doch obwohl den meisten von uns diese Sprüche in den Ohren klingeln dürften, genützt haben sie oft herzlich wenig. Das mag daran liegen, dass Appelle und Ratschläge in der Regel sowieso wirkungslos verpuffen.

Das Aufschieben, das auch als „Mañana-Syndrom“ oder „Last-Minute-Prinzip“ bezeichnet wird, ist ein weit verbreitetes Phänomen. So schätzt beispielsweise der amerikanische Psychologe William Knaus „…, dass etwa 90 Prozent aller College-Studenten immer wieder mal wichtige Pflichten aussitzen.“ (Quelle). Und das oft mit dem Phänomen verbundene Leiden ist so gravierend, dass es unter dem Begriff „Prokrastination“ zum Gegenstand wissenschaftlicher Forschung geworden ist.

Dieses leidige Verhalten begegnet mir nicht nur bei meinen Kunden immer wieder, sondern es ist auch mir selbst nur allzu gut bekannt. Und es hat unliebsame Folgen. So musste ich mich beispielsweise krankmelden, weil ich den Abgabetermin meiner Diplomarbeit nicht einhalten konnte. Das ist zwar schon lange her, aber auch heute schaffe ich es gelegentlich nicht, meine eigenen Terminvorgaben einzuhalten – also Grund genug, um darüber an dieser Stelle zu schreiben.

Gerne würde ich natürlich in diesem Beitrag für alle Leidensgenossen ein paar unterstützende Hinweise geben.
Allerdings handelt es sich bei der „Aufschieberitis“, wie schon erwähnt, um ein Syndrom – also, um einen sehr vielschichtigen Sachverhalt. Deshalb muss ich zunächst leider alle enttäuschen, die an dieser Stelle auf ein, für sie garantiert wirksames Rezept zur Überwindung ihres eigenen Aufschiebeverhaltens gehofft hatten.

Grund dafür: die Vielfalt der vermuteten Ursachen. Einige davon sind auf einer überaus aufschlussreichen Internetseite zum Thema „Prokrastination“ aufgeführt:

  • Idole und abschreckende Beispiele
  • Perfektionismus
  • hohe Ablenkungsbereitschaft
  • geringe Wichtigkeit und Bedeutung
  • Akzeptanz fremder Anforderungen
  • Unklare Anforderungen
  • Unfähigkeit
  • Angst vor dem Neuen
  • Versagens- oder Entscheidungsängste.

Diese Ursachenvielfalt verweist zwingend auf die Notwendigkeit individueller Lösungswege.

So kann ich hier auch nur schildern, wie ich selbst mein Problem heute auf ein erträgliches Maß reduziert habe:

  • nur so viel planen, wie ich tatsächlich schaffen kann (Früher hätte mein Tag mehr als 24 Stunden gebraucht.)
  • jede Aufgabe in meinen Outlook-Kalender eintragen (Auch die trivialsten Aufgaben brauchen Zeit. Ich hatte das nicht berücksichtigt und geriet so schnell ins Hintertreffen.)
  • alle erledigten Aufgaben im Kalender markieren (Das macht die erzielten Erfolge sichtbar und wirkt sich damit positiv auf das Wohlbefinden aus. Früher hatte ich oft das Gefühl, zu wenig oder gar nichts erledigt zu haben.)

Allerdings lässt sich meine wichtigste Erfahrung, die mich heute trägt und zunehmend sicherer macht, mit der, Aristoteles zugeschriebenen Weisheit zusammenfassen:

„Der Anfang ist die Hälfte des Ganzen.“

Gelingt es, eine Aufgabe anzugehen und sich ihr mit aller Aufmerksamkeit zu widmen, dann bereitet oft schon die Tätigkeit selbst große Freude. Die Lösungswege, die mir vorher so viel kopfzerbrechen bereitet haben, sprudeln dann wie von selbst. Und das erzielte Ergebnis ist dann noch zusätzlicher Lohn. Das ist der Fall, weil die Erinnerung an eine erfüllte Tätigkeit nicht spurlos verpufft, sondern sich in diesem vorzeigbaren Ergebnis materialisiert.

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Ein Kommentar zu “„Morgen ist auch noch ein Tag.“ Über das Laster des Aufschiebens”

  1. Karl Hardt schreibt:

    Sehr schön Mechthild,
    nützlich und tröstlich zugleich…

    ich schreibe Aufgaben auch gerne im Büro auf mein White-Board. Das hat sich auch bei Wochenprojekten für die Teamarbeit bewährt, weil jedem klar wird woran ich gerade arbeite.
    Dann kann ich sie bei Vollendung erst abhaken und später noch wegwischen (kommt gut!)

    Liebe Grüße
    Karl

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