Schöne neue Berufswelt – persönlicher Erfolg ist nicht nur eine Frage von Eigeninitiative und Selbstverantwortung

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Gerade weil mir als Berufscoach der Erfolg jedes einzelnen Kunden am Herzen liegt, muss es jetzt einmal gesagt werden!

Obwohl jeder von uns sowieso nur eine Chance hat, nämlich „Eigeninitiative“ und „Selbstverantwortung“ an den Tag zu legen – persönlicher Erfolg stellt sich damit heutzutage nicht automatisch ein. Mir kommt der nimmer endende Ruf nach diesen beiden Tugenden aus den Unternehmen inzwischen eher wie das Abschütteln eigener Verantwortung, wenn nicht gar als moralische Bankrotterklärung der Unternehmen und ihrer Personalabteilungen vor. Die vielbeschworene unternehmerische Verantwortung wird so mal einfach auf den Einzelnen abgewälzt. Das Szenario ist hinlänglich bekannt: Junge Leute, gut ausgebildet, flexibel und fähig, finden trotz bester Studienabschlüsse zunächst einmal häufig nur einen schlecht bezahlten Praktikumsplatz aber keine angemessene Stelle. Gelingt es nach monatelangen Bemühungen, einen Job zu erwischen, so ist der Arbeitsvertrag selbstverständlich zunächst befristet. Es geht noch dreister und ist bei manchen Firmen inzwischen durchaus üblich: die Kündigung kurz vor Ablauf der Probezeit und das obwohl hervorragend gearbeitet wurde. Und auch für langjährig Beschäftigte kommt das Aus im Job immer häufiger wie aus heiterem Himmel.

Es ist unübersehbar: unsere Berufswelt hat sich in den letzten Jahren deutlich gewandelt. Und das eindeutig nicht zum Vorteil der arbeitenden Menschen. Autoren wie Richard Sennett („Der flexible Mensch“) und Jürgen Habermas („Die neue Unübersichtlichkeit“) haben es längst festgestellt: Berufstätigkeit ist für den Einzelnen immer stärker von Unsicherheit und Unüberschaubarkeit geprägt. Existenzängste machen sich breit. Denn eine jahrelang gesicherte Festanstellung in einem Unternehmen wird immer weniger wahrscheinlich, Arbeitsbedingungen verschlechtern sich und auch von angemessener Entlohnung für unsere Arbeitsleistungen müssen wir uns immer mehr verabschieden. Diese um sich greifende Praxis der Unternehmen ist aus meiner Sicht letztendlich, weil zu kurz gedacht, nicht nur ökonomisch fraglich, sondern auch moralisch höchst zweifelhaft.

Aber bei all dem gibt es auch Positives zu berichten: so prognostizierte das Handelsblatt in einem bereits 2007 erschienenen Artikel „Die Renaissance des ehrbaren Kaufmanns“, eine Initiative, die sich insbesondere im mittelständischen Bereich entwickelt (so z.B. betrieben bei der IHK Nürnberg). An mancher Stelle beginnt man sich also wieder auf unternehmerische Tugenden zu besinnen, was bedeutet, beim Wirtschaften nicht nur den eigenen ökonomischen Erfolg im Auge zu haben, sondern das Wohl der Mitarbeiter, der Gemeinschaft und der Umwelt immer mit zu bedenken. Diese Initiative verdient auf jeden Fall Beachtung. Sie ist im gesellschaftlichen Ganzen aber leider nur ein Tropfen auf den heißen Stein, wenn nicht gar, nur das letzte Hochhalten der moralischen Flagge vor dem endgültigen Untergang.

Im großen Stil hat im Zuge globaler Verflechtungen längst die Ausrichtung an rein wirtschaftsliberalen Prinzipien Einzug gehalten. Es scheint, dass mit dem Verschwinden der Einzelunternehmer aus dem ökonomischen Gefüge, Moral immer mehr in den Hintergrund gedrängt wird. Obwohl in großen Konzernen Unternehmensleitbilder moralisches Handeln versichern, in der Realität gelten dort meist ganz andere Spielregeln. Deutlich wird dies beispielsweise daran, dass moralisch verantwortlich handelnde Führungskräfte nicht selten als Gutmenschen belächelt werden. Sie werden als Idealisten abgestempelt und damit an den Rand gedrängt. Die „pragmatischen“ Entscheider, die ausschließlich den ökonomischen Erfolg im Blick haben, sind eindeutig im Vorteil. Dass diese Rechnung wohl nur kurzfristig wirksam ist, kümmert keinen.

Die große Frage: was tun?

Klar ist: als einzelne haben wir gar keine andere Chance, als für uns selbst einzustehen. Deshalb empfinde ich meine Arbeit als Coach, die ja auf das Wohl des Einzelnen ausgerichtet ist, auch als unumstritten sinnstiftend und nützlich.

Nur reicht aus meiner Sicht die Sorge für den Einzelnen und für uns selbst immer weniger aus. Ich halte es für wichtig, den individuellen Notlagen ein öffentliches Gesicht zu geben. Erste Initiativen entstehen: Menschen schließen sich zusammen und setzen sich zur Wehr. Die „Bewegung 15. Mai“ in Spanien und die Sozialproteste in Israel sind hierfür ein Ausdruck.

Das stimmt mich hoffnungsvoll.

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Ein Kommentar zu “Schöne neue Berufswelt – persönlicher Erfolg ist nicht nur eine Frage von Eigeninitiative und Selbstverantwortung”

  1. Toller Eintrag. Ich stimme Deiner Quintessenz absolut zu. Wir alle müssen (wieder) politischer werden!

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