Schöne neue Berufswelt III – Welcher Beruf passt zu mir?

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„Wie finde ich heraus, was ich werden soll?“ dieser Artikel im „Beruf und Karriere-Teil“ der Süddeutschen Zeitung vom letzten Wochenende (19./20.November 2011, Seite V2/10; leider nicht online verfügbar) kommt gerade recht, um meine Reihe über die „schöne neue Berufswelt“ fortzusetzen. In dieser Kategorie schreibe über Themen, über die ich mich so richtig aufregen kann.

Worum geht es dieses Mal? Eine sechzehnjährige Gymnasiastin ist verunsichert, weil sie zwar ganz sicher weiß, was sie nicht werden will, aber keinerlei Ideen hat, welcher Beruf zu ihr passen könnte. Auch diverse Berufstests konnten ihr bislang keine hilfreiche Orientierung geben.

Hier weiß die Expertin für Berufsfragen Uta Glaubitz Rat. Aber anstatt zunächst einmal eine Ermunterung auszusprechen und zu würdigen, dass sich die Schülerin so aktiv auf die Suche nach dem, für sie passenden Weg begeben hat, wird ihr zunächst einmal eine Illusion geraubt. Frau Glaubitz klärt sie auf, dass Tests einem die Entscheidung nicht abnehmen, da sie lediglich das Bedürfnis befriedigen würden, die Verantwortung für sich selbst abzugeben. Das sitzt! Insbesondere deshalb, weil die Testgläubigkeit hierzulande kaum zu überbieten ist. Spätestens seit Pisa wird jeder Schüler förmlich mit Tests bombardiert. Nicht nur die Bildungssituation der Republik versucht man auf diese Weise immer wieder zu monitoren – ebenfalls wird die individuelle Leistung jedes Schülers, Schuljahr für Schuljahr zusätzlich zu den üblichen Leistungskontrollen, durch Jahrgangsstufentests beurteilt, so dass schon der Eindruck entsteht, dass mehr geprüft als gelernt wird.

Auch die respektablen Fähigkeiten, die die Schülerin mitbringt, wie Kreativität, Organisationstalent, sprachliche Ausdrucksfähigkeit, Durchhaltevermögen und einiges mehr, werden lapidar als „Grundvoraussetzungen“ für interessante Berufe eingestuft. Da weiß sie also gleich, dass es schon etwas mehr sein muss, um den heutigen beruflichen Anforderungen gerecht zu werden.

Deutlich wird der jungen Frau klargemacht, welche Spielregeln heute beherrscht werden müssen, um sich als Einsteigerin im hart umkämpften Markt erfolgreich zu positionieren. Sie wird darauf hingewiesen, dass sie es sich nicht leisten kann „unorganisiert zu sein und komplizierte Zusammenhänge nicht zu begreifen“. Auch die Fähigkeit zur Kreativität in allen Lebenslagen muss mit dem richtigen Training erworben werden.

Als nächstes wird der Schülerin mitgeteilt, welches Engagement von ihr erwartet wird, damit Einstiegschancen in einen journalistischen Beruf bestehen. Frau Glaubitz schreibt dazu:

„Es gibt immer die Chancen, die man sich erarbeitet. Wenn Sie Politik oder Volkswirtschaft studieren, Uniradio machen und nebenbei für einen Fernsehsender jobben, dann erarbeiten Sie sich damit Chancen auf ein journalistisches Volontariat“.

Zum Schluss dann quasi eine Ermahnung, nach dem Schulabschluss bloß nicht dies und das auszuprobieren oder gar eine Reise zu unternehmen, die in keinem plausiblen Kontext zum zukünftigen Beruf steht. Erst muss man sich entscheiden, was aus einem werden soll.  Und danach lautet die Ansage: zielstrebig auf den Traumjob hinzuarbeiten.

Beim Lesen dieser Ratschläge könnte man meinen, hier hat jemand im Rahmen einer Glosse extra dick aufgetragen, um auf den Irrsinn der heutigen Situation beim Berufseinstieg aufmerksam zu machen – doch leider war alles ernst gemeint.

Welchen Nutzen kann die Schülerin nach der Lektüre dieser Empfehlungen für sich verbuchen?

Sicher weiß sie jetzt, dass sie sich weiter am Riemen reißen muss, dass ihr nichts geschenkt wird, dass sie sich ihre Chancen erarbeiten muss und vor allem, dass es jetzt dringend Zeit für die ultimative Entscheidung ist, wohin die berufliche Reise gehen soll.

Ist das hilfreich? Ich bin nicht davon überzeugt!

Da eine Schulkarriere in Deutschland zunehmend weniger Möglichkeiten bietet, die eigenen Neigungen herauszufinden und zu erproben, kann es gut sein, sich nach der Schule eine Orientierungsphase zu gönnen und durchaus dies und das auszuprobieren, um festzustellen, was einem liegt und was nicht.

Darüber hinaus, befinden sich Berufe heute einem permanenten Wandel, so dass es sowieso ratsam ist, die weitverbreitete Sichtweise über Bord zu werfen, dass man nach dem Schulabschluss eine definitive Entscheidung für ein Berufsziel treffen muss. Meine Botschaft: sich keinen Entscheidungsstress zu diesem Zeitpunkt zu machen. Viel wichtiger scheint es mir zu sein, überhaupt erst einmal Entscheidungsfähig zu werden. Dazu kann wiederum die erwähnte Erprobung verschiedener Arbeitsfelder dienen.

Von besonderer Bedeutung aber scheint mir die Frage zu sein, wie authentisch und souverän man in einer beruflichen Tätigkeit sein kann. Darum ist der gelungene Berufsfindungsprozess, so wie ich ihn verstehe, immer auch ein Selbstfindungsprozess. Hier ist es von Vorteil erst einmal zu entkrampfen und sich gegebenenfalls auch einige Schleifen zu erlauben, um seinen Platz im Berufsleben zu finden.

Damit rechtzeitig zu beginnen, lohnt sich wirklich, wenn man nicht wie Miriam Meckel, erst nach vierzig Jahren zu folgender Erkenntnis gelangen will: „Um zu begreifen, dass ich in manchem nur eine Rolle spiele, dass ich mein Leben nach den Vorgaben anderer ausrichte, nach der Gesellschaft, in der ich lebe – und dass mich das ziemlich unglücklich gemacht hat.“ Mit Miriam Meckel teile ich die Meinung, dass es doch nur um eines gehen kann: ich selbst zu sein. Sich dies zu ermöglichen, ist das alles entscheidende Kriterium für einen Beruf, der zu mir passt.

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2 Kommentare zu “Schöne neue Berufswelt III – Welcher Beruf passt zu mir?”

  1. Ein besonders für heute sehr interessanter Artikel. Ich denke, dass die Jugend heute mehrmals im Leben den Beruf wechseln werden, wie das seit zig Jahren in den USA ist. Außerdem frage ich mich, ob Schüler in Gymnasien über die vielen beruflichen Möglichkeiten im Internet ausreichend informiert werden. Ich meine nicht einen Blog zu machen oder ein Info-Produkt, sondern die vielen Service-Berufe für Firmen mit Webseiten. Da gibt es eine Reihe von Berufen.
    Heute gibt es so viele Berufsmöglichkeiten, dass die Jugend die Qual der Wahl hat. Man muss halt mit irgendwas anfangen. In verschiedene Berufe hineinschnuppern. Viele Unternehmen sind dafür offen.

  2. Hans Hoff schreibt:

    Ist das nicht sehr einfach? Kein Entscheidungsstress? Die Realität sieht doch anders aus. Junge Leute müssen sich entscheiden, „was sie werden wollen“, und das schon im Alter von 14 oder 15 Jahren, wenn es auf die Suche nach einer Lehrstelle geht.

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