Schöne neue Berufswelt II – Gründer brauchen zukünftig noch mehr Risikobereitschaft

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Am 23.09., also am Tag meines letzten Blog-Eintrags „Schöne neue Berufswelt“, fiel eine Entscheidung, die mich herausfordert, ein zusätzliches Kapitel unter der gleichen Überschrift zu schreiben. Denn durch diese Entscheidung werden ebenfalls Eigeninitiative und Selbstverantwortung statt unterstützt, gebremst und ignoriert. Ich kann mich erneut des Eindrucks nicht erwehren, dass in unserem Staat wieder einmal etwas in die absolut falsche Richtung läuft. Denn an diesem 23.09. entschied der Bundestag mit den Stimmen der CDU und der FDP über einschneidende Kürzungen beim Gründungszuschuss. Das entsprechende Gesetz wird voraussichtlich ab dem 1. November in Kraft treten.

Für Gründungswillige das Wichtigste zuerst: Um noch von der bestehenden Regelung zu profitieren, sollten sie sich beeilen und so schnell wie möglich bei der Bundesagentur für Arbeit Ihren Antrag auf Gründungszuschuss stellen.

Worum geht es konkret:
„Bislang haben Arbeitslosengeld-I-Bezieher, die ein geprüftes Gründungskonzept vorweisen, Anspruch auf finanzielle Förderung durch die Arbeitsagentur in der ersten Phase der Selbständigkeit. Sie erhalten neun Monate lang monatlich eine Unterstützung in Höhe ihres Arbeitslosengeldanspruchs sowie 300 Euro als Sozialversicherungspauschale. Bewährt sich die Gründung, können die Gründer für weitere sechs Monate mit jeweils 300 Euro gefördert werden. Nach dem Gesetzentwurf von der Leyens … (Anmerkung M.Bruns: Dieses Gesetzt wurde jetzt am 23.09. verabschiedet.), sollen sowohl Förderdauer als auch Förderhöhe sinken. Außerdem soll es künftig im Ermessen der Arbeitsagentur stehen, ob der Zuschuss gewährt wird.“(Quelle: faz.net)

Die Arbeitsministerin will mit der Gesetzesänderung bereits im Jahr 2012 eine Milliarde Euro einsparen. (Quelle: Zeit Online)
Und das obwohl der Gesetzentwurf sogar in den eigenen Reihen kritisiert wurde: Aus dem Bundeswirtschaftministerium hieß es, der Plan sei als einseitige Maßnahme „wirtschafts-und arbeitsmarktpolitisch fragwürdig“. (Quelle: faz.net)

Die überzeugendsten Gegenargumente liefert eine Studie des IAB, die belegt, dass der Gründungszuschuss eines der wirkungsvollsten Instrumente der Arbeitsmarktpolitik ist. Sie zeigt auf, dass knapp fünf Jahre nach Gründung immer noch zwischen 55 und 70 Prozent der Geförderten selbständig tätig sind. Weitere 20 Prozent befinden sich wieder in einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung. (Quelle: Zeit Online) Die arbeitsmarktfördernde Wirkung wird nochmals verstärkt, wenn man bedenkt, dass Selbständige häufig wiederum Arbeitsplätze schaffen.

Soviel zu den Fakten. Was mich an der ganzen Sache besonders wütend macht, ist die Argumentation mit der die Gesetzesänderung seitens des  Arbeitsministeriums legitimiert werden soll. So hieß es, viele Arbeitslose gründeten aus der Not heraus ihr eigenes Unternehmen, um dann nur mit Mühe über die Runden zu kommen. Außerdem seien die Mitnahmeeffekte sehr hoch, denn viele hätten sich auch ohne staatliche Zuschüsse selbständig gemacht. (Quelle: Zeit Online) So kann man nur argumentieren, wenn man sehr, sehr weit von den Menschen entfernt ist, um die es geht.

Aus eigener Erfahrung als Existenzgründerin und Berufscoach kann ich sagen:

Menschen, die sich für die Selbständigkeit entscheiden

  • überwinden ihre Existenzängste,
  • nehmen ihre Sache selbstverantwortlich in die Hand,
  • beweisen Mut,
  • haben hervorragende Ideen
  • und sind in hohem Maße risikobereit.

Außerdem ist die Alternative eines sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses nicht in jedem Fall die erfüllende Art des Broterwerbs. Es gibt für viele Menschen gute Gründe sich für die Selbständigkeit zu entscheiden. Der Ratgeberautor Andreas Lutz bringt sie im Beruf und Karriere-Teil der Süddeutschen Zeitung vom 1./2./3. Oktober 2011 (leider nicht online verfügbar) so wunderbar auf den Punkt: „Wenn Menschen sich nicht mehr auf feste Jobs bewerben, haben sie dafür gute Gründe. Und die haben in der Regel nichts damit zu tun, dass sie keine andere Chance mehr auf dem Arbeitsmarkt hätten. Die meisten Gründer wollen ihre Arbeitsschwerpunkte selbst bestimmen, politischen Ränkespielen in Unternehmen aus dem Weg gehen, flexibler sein oder keinen mürrischen Chef mehr haben, der unter Umständen geringer qualifiziert ist als sie selbst.“

In Punkto Gesetzesänderung gibt es jetzt keinen Weg zurück. Das Gesetz ist verabschiedet. Damit sind die Bedingungen unternehmerischer Initiative massiv erschwert. Das individuelle Risiko ist nochmals größer geworden. Viele werden sich nun nicht mehr trauen selbständig zu werden, möglicherweise mit dem Ergebnis, noch für längere Zeit auf staatliche Unterstützung angewiesen zu sein.

Da es keine wirklich plausiblen Gründe für diese gesetzliche Neuerung zu geben scheint, drängt sich mir der Verdacht auf, dass auch an dieser Stelle der Hebel der gesellschaftlichen Umverteilung angesetzt wurde. Gerade eben hörte ich in der Tagesschau ein Interview zum Vergleich der Lebensbedingungen 1951 und 2011. Die Tagesschau führte es mit dem Professor für empirische Sozialforschung an der Universität Konstanz Werner Georg. Er sagte dort folgendes:

„Am meisten Sorgen machen mir das Wegschmelzen der Mittelschichten, die Zunahme von Armut unter dem Einfluss der Globalisierung, die prekären Arbeitsverhältnisse, die durch Zeitarbeit geprägt sind. Wir gehen davon aus, dass nur noch etwa 70 Prozent der Menschen ‚normal‘ beschäftigt sind, der Rest befindet sich in fragilen Arbeitsverhältnissen.“

Vor dem Hintergrund dieser Einschätzung wird die Brisanz der Regierungsentscheidung nochmals deutlicher. Wann werden wir in diesem Land endlich wach und verschaffen unserem Unmut Gehör?

„We are the 99%“!!!

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